Wenn wir uns in die antike Welt begeben, so finden wir uns in einer Zeit wieder, in der Götter, Geister und Dämonen genauso real und in der Welt sind wie der Stein an dem Du dir den großen Zeh stößt.
Alles ist in dieser Welt lebendig und der Mensch fühlt und erlebt sich mittendrin in dieser Welt. Verbunden, aber auch höchst abhängig.
Wie unterschiedlich und vielleicht sogar fremdartig diese Welt im Vergleich zu unserer heutigen ist, möchte ich dir anhand einiger Besonderheiten aufzeigen.
Es lohnt sich, wenn Du dir etwas Zeit nimmst um dir die einzelnen Punkte so lebendig wie möglich vorzustellen.
Denn es geht bei magischen Weltbildern eben nicht um akademische Konstrukte, sondern um lebhafte oder, wenn Du so willst, um leibhaftige Bilder.
Die mystische Substanz des Göttlichen
Alles was in der Welt ist, seien es Dinge, Menschen, Tiere oder Pflanzen, ist erfüllt von der mystischen Substanz des Göttlichen. Dinge wie Menschen, einfach alles, sind Formen des allgegenwärtig Göttlichen selbst.
Sie mögen als Formen verschieden aussehen oder sogar andere Götter beinhalten – von Göttlichkeit durchflutet sind sie alle. Selbst das Kleinste wie das Größte unterscheidet sich voneinander nur in der Form.
So ist alles was in der Welt geschieht, verbunden durch das Göttliche und damit auch abhängig von den Göttern. Sei es wie gut die Ernte ist, ob ein Unwetter dräut oder ob die Sonne über den Horizont wandert.
Der Blitz weist in dieser Welt nicht auf Zeus hin. Er ist Zeus. Die Sonne ist nicht ein Symbol von Ra. Sie ist Ra. Das Getreidekorn symbolisiert nicht Demeter. Demeter ist in diesem Getreidekorn anwesend.
Diese göttliche Verbundenheit von allem mit allem unterscheidet das magische Denken der Antike wesentlich von unserem heutigen Denken. Im magischen Denken der Antike besitzt alles göttliche Qualität. Im wissenschaftlichen, heutigen Denken ist nur das relevant, was messbar, also quantifizierbar ist. Für Qualitäten ist da kein Platz mehr.
Wie verhielten sich die Menschen?
Auch in den Menschen sind die Götter anwesend. Entsteht ein Krieg, so wandelt Mars unter den Menschen und erfreut sich des Hauens und des Stechens. Verlieben sich zwei, so wirkt Aphrodite in ihnen. Ist jemand zu Tode erschrocken und von Grauen erfasst, so wirkt Phobos in diesem Menschen.
Triebe, Gefühle, Motivationen, Gedanken, Ideen entstammen nicht einem, wie auch immer gearteten Ich des Menschen. Sie sind Zeugnisse der Anwesenheit von Göttern in ihm. Da die Götter in ihm walten, trägt der Mensch des Altertums für sein Handeln und sein Erleben keinerlei Verantwortung. Die Götter geben ein, was der Mensch erfüllt.
So kann ein Mensch größte Grausamkeiten begehen, ohne dass sich Skrupel in ihm regen. Und selbst wenn: Wo wir heute davon sprechen, dass ein Mensch Gewissensbisse hat und mit sich selbst uneins ist, da sähe ein Mensch in der Antike nur zwei Götter streiten.
Die Freiheit des Menschen in der Antike
Von individueller Freiheit des Menschen in der Antike zu sprechen wäre ziemlich sinnbefreit. Freiheit des Einzelnen setzt ja zumindest ein Selbstverständnis voraus, sich als Individuum zu begreifen. Das gab es noch nicht.
Die Identität des Einzelnen war eine soziale Identität, eine Rolle in der Gemeinschaft. Diese Vorstellung muss so stark gewesen sein, dass selbst der Tod einer möglichen sozialen Ächtung vorgezogen wurde.
Das Verhältnis von Bild zu Abgebildeten
In der Antiken Welt werden auch keine Unterschiede gemacht zwischen Abbild und Abgebildeten. Beides beinhaltet die gleiche göttliche Substanz, beide können gleichermaßen wirken und stehen wesenhaft miteinander in Verbindung.
Wurde zum Beispiel im alten Ägypten eine Hornviper dargestellt, so wurde sie zerschnitten gezeichnet, damit sie niemandem Schaden zufügt. Wer einen Skarabäus bei sich trug, war mit der lebensspendenden Kraft der Sonne am Morgen direkt verbunden, denn er trug diese Kraft ja mit sich.
Ähnliche Vorstellungen finden sich nicht nur in den antiken Hochkulturen, sondern wird auch aus aus der schamanistische Welt des Bön berichtet. Bei den ersten Tibet Expeditionen zum Beispiel ließen sich die Menschen nicht fotografieren aus Angst, ihre Seele würde verloren gehen, da diese im Foto eingefangen würde.
Und wie sieht es mit der Religion aus?
Ein alter Grieche oder Ägypter verstand seine Götter und ihre Mythen nicht als Religion. Von Religion zu sprechen macht nur dann Sinn, wenn es daneben noch eine andere Art gibt, die Welt zu erfahren. Die religiöse Sichtweise unterscheidet sich heutzutage von einer anderen, wie z.B. der wissenschaftlichen Ansicht. Da Götter ja überall anwesend waren und sich zeigten war das Wissen um die Götter auch Welterkenntnis.
Wer so nah verbunden, Tag für Tag mit seinen Göttern lebt, braucht auch keinen Glauben. Glauben setzt etwas Transzendentes, letztlich Hinterwelten voraus, die einem unzugänglich sind. Die Welt der Antike ist ganz diesseitig.
Es gab auch keinen Konflikt mit den Göttern anderer Völker. Es waren die gleichen Götter – nur mit anderen Namen. Einen Westwind gab es überall. Ob man ihn nun Zephyr oder anders nannte. Kein antiker Mensch hätte deswegen einen Krieg um wahre Götter geführt. Da die Götter sich in der Welt zeigten, war es nicht wichtig, wie sie genannten wurden oder woher sie stammten.
Tod und Jenseits
Wer starb, reiste in das Reich der Toten. Dies war in der Antike kein Ort außerhalb der Welt. Der Styx der Griechen war ein genauso realer Fluss in der Welt wie der Fluss um die Ecke, nur dass er die Toten von den Lebenden trennte und nicht einfach überschritten werden konnte. Charon wachte bei den Griechen als Fährmann über den Styx.
In Ägypten befand sich das Land der Toten im Westen, an dem Ort, wo die Sonne unterging. Ein Jenseits im Unterschied zu einem Diesseits war auch den alten Ägyptern fremd.
Entsprechend gab es auch keine Vorstellung von Reinkarnation. Die Toten waren noch in der Welt, nur in einem – mehr oder weniger angenehmen – anderen Bereich der Welt.
Wer starb, wanderte in diesen anderen Teil der Welt und kehrte nicht zurück. Ob als sinnenloser Schatten in Griechenland, als wiederauferstandener Osiris in Ägypten, wenn er es denn schaffte, erfolgreich durch die Unterwelt zu reisen, oder als Rat gebender Ahne bei den Stammeskulturen.
Zeit und Schöpfung der Welt
Die Welt der Antike kannte nur einen zyklischen Zeitlauf. Alles was geschah, geschah in Zyklen. Seien es die Mondzyklen, bestimmte Ereignisse in der Natur wie die Nilschwemme oder auch der Jahreszyklus.
Die lineare Zeit ist eine spätere Erfindung des Judentums und setzt eine Gottheit außerhalb der Welt voraus, die einen Startpunkt für die Welt setzt.
Entsprechend gab es auch nicht die eine und einmalige Erschaffung der Welt. Wie sollte das auch in einer zyklischen Zeit funktionieren? Die Schöpfung der Welt wurde immer wieder vollzogen. Nach Ragnarök, wenn der Fenris Wolf die Sonne verschlungen hatte und die Welt im Eis erstarrte entstand eine neue Welt mit neuen Göttern.
Alles war ein großer Zyklus, dem selbst die Götter unterworfen waren, denn sie waren ja auch ein Teil der Welt.
Magie, Mythos und Ritual
Magie und Mythos sind in der antiken Welt eins. Der Mensch, selbst noch nicht handlungsmächtig, bedient sich Talismanen, um die Kraft erwählter Götter bei sich zu wissen. Mit Hilfe von Ritualen, Zeremonien und Festen hält er die Welt am laufen und schützt sich und die Gemeinschaft vor Unbill. Durch Einweihungen in Kulte erlangt er Kenntnis vom tieferen Wesen der Welt. Durch Orakel erkundet er den Willen der Götter.
In der antiken Welt stellt sich die Frage, ob es Magie gibt, also nicht. Aus unserer heutigen Perspektive würden wir sagen, dass die Welt für die antiken Menschen rein magisch war. Für die antiken Kulturen war dieser Umgang mit der Welt so selbstverständlich wie für uns das 1×1.
Was wollen wir aus der antiken Welt in das Horuszeitalter mitnehmen?
Ich formuliere es mal so: „Wir sind lebendige Wesen in einer lebendigen Welt.“ 🙂
Und wo wir Menschen früher durch Götter fremdbestimmt waren, sind wir heute so weit, uns als Schöpfer unserer Welt erleben zu können. Verantwortlich für das was wir tun und immer mit unserer Schöpfung verbunden.
Artikelreihe:
- Das magische Weltbild
- Das magische Weltbild der Antike
- Vom Mythos zum Logos – Die Erfindung des inneren Raums und der äußeren Welt
Fein! „Wir Gehen immer verloren, wenn uns das Denken befällt, werden wiedergeboren, wenn wir uns ahnend der Welt anvertrauen, und treiben wie die Wolken im hellen Wind … “ Beginn eines Gedichtes von Jean Gebser.
Liebe Grüße
Arkis