Vom Mythos zum Logos – Die Erfindung des inneren Raums und der äußeren Welt

In diesem Text möchte ich auf die Zeit eingehen, in der die mythologische Epoche endete und der Logos langsam empor dämmerte.

Es ist die Zeit des Ankh-af-na-khonsu in Ägypten und das der Vorsokratiker in Griechenland.

Wir befinden uns ungefähr 600 v.Chr., die Zeit, in der die europäische Kultur ihren Sonderweg in der Welt begann.

Auf gehts:

Die Erfindung des inneren Raums

In der mythologischen Zeit war der Mensch ganz Teil der Welt. Mit dem Übergang zum Logos erschuf er sich einen Abstand zur Welt, einen inneren Raum. Nun dürfen wir uns diesen inneren Raum nicht so vorstellen, wie wir ihn heute erleben. Für den Menschen der Antike war der innere Raum nur durch eine durchlässige Grenze von der äußeren Welt getrennt, so wie ein Fischernetz das Wasser trennt.

Um dir ein Beispiel zu geben: Gefühle begann man jetzt sich selbst, dem eigenen inneren Raum zuzurechnen. Das hinderte einen aber nicht daran anzunehmen, dass Gefühle als „Atmosphäre“ auch in der Welt existierten und quasi in den Menschen einsickerten und so von ihm wahrgenommen werden konnten.

Einen Abglanz davon erleben wir noch heute, wenn wir davon sprechen, dass ein Raum eine bestimmte Atmosphäre hat oder uns die Stimmung einer Landschaft ergreift.

Auch die Wahrnehmung durch die Sinne erschien dem Menschen der Antike als ein Einsickern der äußeren Welt durch die Poren der Augen, Ohren, Nase etc.

Gehirn | OpenClipart-Vectors@pixabay.com

Gleiches kann also nur durch Gleiches wahrgenommen werden. So wurde der innere Raum des Menschen gedacht als aus den gleichen Elementen bestehend wie die äußere Welt. Feuer, Wasser, Luft waren ebenso die Elemente des Innens wie des Außens. Ebenso galt: Wenn es in der Welt eine logische Struktur gibt, so ist auch der innere Raum logisch aufgebaut.
Diese Annahme hielt sich bis in die Zeit der Renaissance.

Wieso es zu diesem Übergang von einer alles umfassenden Welt hin zu einer Unterscheidung von Innen und Außen kam, können wir heute nicht mehr nachvollziehen. Wir können nur sehen, dass es geschah. Eine kleine Annäherung als Futter für deine Vorstellung möchte ich kurz erwähnen:

Als kleines Kind ist dein Erleben von deiner Umgebung sehr direkt. Da gibt es keine Lücke zwischen Reiz und Reaktion. Erst wenn Reiz und Reaktion nicht mehr aneinander kleben, entsteht ein Unterschied von Innen und Außen. Auch Gefühle überfluten dich als Kind, ohne dass Du darauf Einfluss hast. Erst im Laufe deiner Entwicklung lernst Du, ihnen nicht mehr ausgeliefert zu sein, sondern dass Du Einfluss auf deine Gefühle hast.

In den folgenden Punkten möchte ich auf einige Konsequenzen eingehen, welche die Erfindung des inneren Raums mit sich bringt.

Verantwortung

Während dieser Zeitenwende können wir beobachten, dass der antike Mensch beginnt, Verantwortung für die Konsequenzen seines Handelns zu übernehmen.

Beschrieb er sich vorher z. B. als von Eros besessen, wenn er voller Geilheit mit jemanden seine Triebe befriedigte, so rechnete er dieses Verlangen nun sich selber zu. Das eröffnete die Möglichkeit für ihn, zu entscheiden ob er diesem Drang nachgeben wollte oder nicht.
Den Göttern kam so ihre Befehlsgewalt abhanden. Fortan an galt es zu überlegen, welche Handlung angemessen ist.

Mit der Zurechnung solcher Gefühle, Antriebe und Ähnlichem, zu seinem Innenraum und mit der damit einhergehenden Wahlmöglichkeit der angemessenen Handlung, eroberte er sich von den Göttern im gewissen Umfang Entscheidungsfreiheit und Macht. Kurz: Verantwortung.

Gewissen

Mit dem Erscheinen des inneren Raums, eröffnete sich auch die Möglichkeit, einer inneren Instanz, von der aus der Mensch sich selbst beobachten und sein Handeln abwägen konnte. Die Griechen nannten diese Instanz Synoida – Mitsehen.

Sokrates sprach später von seinem Daimon, aber dies ist schon eine weitere Entwicklung. Beides, sowohl Synoida wie auch der Daimon ist nicht mit dem christlichen Gewissen zu verwechseln. Denn weder Synioda noch Daimon waren moralische Instanzen, sondern eben mit-sehende.

Ich sehe Synoida wie auch den Daimon als ein Äquivalent zu den Stimmen der Götter im Außen, nur dass diese Stimme jetzt als personell aber noch nicht individuell wahrgenommen wurde.

Der Innere Raum als Voraussetzung sich als Person zu erleben

Die wesentliche Voraussetzung, sich selbst als „das bin Ich“ wahrzunehmen, besteht darin, sich als von der Welt verschieden zu erleben. Erst wenn ich sagen kann, dies bin ich und jenes nicht, kann ich mich eingrenzen und einen Unterschied von mir zu Welt sehen.

Diese Unterscheidung zur Welt beginnt, wenn ich anfange, mir Eigenschaften, Motivationen, Gefühle, Handlungen, Vermögen etc. zuzuschreiben.
Ich bin der, der wütend ist, ich bin der, der hungrig ist, ich bin der, der Lust empfindet etc.

Habe ich die Welt in Innen und Außen getrennt, habe ich mir damit eine Identität gegeben, die aus diesen Zuschreibungen besteht – kurz, ein Ich. Damit bin ich zu einer Person geworden, aber noch nicht zu einem Individuum.

Ein Indiz hierfür ist auch, das dies der Zeitpunkt ist, an dem es begann das Künstler namentlich bekannt wurden. Z.B. Sophokles, Aychilos etc. Kunstwerke wurden ab sofort einem Urheber zugeschrieben.

Der Umgang mit den Göttern

Noch befinden wir uns in der Zeit der vielen Götter, doch ihre Macht über den Menschen war jetzt beschränkt. Es wurde ihnen nach wie vor geopfert, doch sie konnten auch – wie Odysseus es so schön zeigt – ausgetrickst werden. Der Mensch war nicht mehr nur ihr Befehlsempfänger.

Die Götter wurden so zu einem mächtigen Gegenüber in der Welt, mit denen Handel getrieben werden konnte. „Ich opfere dir diesen Stier, dafür gewährst Du mir den Sieg.“

Das Prinzip, das die Götter so in ein soziales miteinander mit den Menschen einband, nannten die Römer „do ut des“ – Ich gebe, damit du gebest.

Bedeutung der Mythen

Wurden in der mythologischen Zeit die Mythen als tatsächliche Geschehnisse verstanden, so wandelte sich ihre Bedeutung jetzt ins allegorische.
Damit zeigt sich als weiteres Element im Übergang vom Mythos zum Logos: Die Unterscheidung von Beschreibung und Beschriebenen.

Etwas anders formuliert: Das mythologische Zeitalter war durch einen ikonischen Bedeutungszusammenhang bestimmt. Mit dem herauf dämmernden Logos gewann die Welt durch einen indexikalischen Zusammenhang an Bedeutung.

Ausrichtung der Spiritualität

GNOTHI SAUTON | Public Domain License

Bestimmten in der mythologischen Zeit die Götter und ihre Ordnung den richtigen Platz für jeden Menschen in der Welt, so lautete nun die zentrale Frage:

„Wer bin ich?“

Die Aufforderung „Erkenne dich Selbst“, die auf der Akropolis prangt, wäre zur Zeit der Ilias unverständlich gewesen.

Zusammengefasst

Wir können sehen, dass vieles von dem, was uns heute als moderne Selbstverständlichkeiten der Spiritualität erscheint, um 600 v.Chr. Ihren Ausgangspunkt nahm:

Selbsterkenntnis als Ziel, auf die innere Stimme hören, Umgang mit den Elementen, Bedeutungssysteme wie Kabbala und Tarot, Verantwortung für das eigene Leben….

Wer das Thema noch vertiefen möchte, hier ein paar Quellen:

Vorlesungen von Prof. Oetsch
Literatur von Jan Assmann
Nietzsche: Genealogie der Moral
Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes
Niklas Luhmann: Einführung in die Theorie sozialer Systeme

Artikelreihe:

to be continued, stay tuned

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Powered by www.thelema-in-deutschland.de